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Denken hilft zwar, nützt aber nichts – Ein Abgesang auf die Vernunft?

Ich habe ja Zeit. Ich in ja noch jung. Das denke ich, während ich wieder einmal auf dem Leipziger Hauptbahnhof 6 Minuten vor der Abfahrt meines Zuges zusehe, wie jemand versucht, dem Fahrkartenautomat der Deutschen Bahn seine umständlich erworbenen und das Portemonnaie ausbeulenden Münzen anzudrehen.

Der Blick lohnt sich, obwohl die Zeit verrinnt (noch 4 Minuten), weil nach einigen erfolglosen Versuchen, bei denen der Automat das Geldstück wieder in den Ausgabeschlitz befördert, der inzwischen missmutig werdende Mitfahrer jeden Anspruch an die Naturgesetze fallen lässt.

Versuch und Irrtum

Er nimmt seine Münze, reibt diese an der extra für diesen Vorgang angebrachten Münzenreibungsscheibe und wirft die Münze danach mit Bedacht und fast liebevoll erneut und diesmal behutsam in den Münzeinwurf.

Und – wie konnte es anders sein – JETZT akzeptiert der Automat das Geld und rückt die Fahrkarte raus. Ich freue mich mit ihm – nicht nur in Anbetracht der nahende Abfahrtszeit (2 Minuten) – und beglückwünsche ihn zum erfolgreichen Ticketkauf mit dem aufmunternden Spruch: „Glückwunsch – alles richtig gemacht!“ noch ohne zu wissen, welche Konsequenz diese Äußerung hat.

Als Kartenzahler entschiede ich mich, im Zug zu zahlen, um so dem Mitfahrer schon mit einer gehörigen Prise Vorsatz ins Abteil folgen. Vorsatz, weil mich die Lektüre eines Buches dazu ermuntert, immer wieder ganz selbstverständliche Verhaltensweisen zu hinterfragen. Und Fragen dürfte erlaubt sein – immerhin sind wir durch den Fahrkartenautomat zur gleichen Opfergruppe der Bahn etikettiert worden.

Nachdem wir durch ein leichtes Kopfnicken im Zugabteil die Wiedererkennung der Leidensgemeinschaft bestätigt haben, nehme ich Bezug auf den Vorgang am Automaten und spreche meinen Mitfahrer erneut an. Natürlich interessiert mich, warum er die Münze am Automat gerieben hat und ob die wahrgenommene Behutsamkeit des Münzeinwurfs bei ihm ein bewusster Akt der Sensibilität war.

Die Antworten überraschen mich. fast schon personifiziert liebevoll schreibt der eben noch wütende Mann dem Automaten mit folgenden Sätzen eine „menschliche Persönlichkeit“ zu.

Auch Irrationales lässt sich begründen

„Es ist doch ganz logisch. Die Münze lädt sich durch die Reibung am Automaten auf und wird so besser erkannt!“ Ich staune und folge mit offenem Mund und wachem Geist seinen Ausführungen.

„Um die Erkennung durch den Automaten noch zu verbessern, werfe ich die Münze behutsam ein, das verlangsamt die Fallgeschwindigkeit.“
Ich jubele innerlich.

„Und ja, insofern habe ich alles richtig gemacht!“ – nimmt er Bezug zu meinem Glückwunsch. Mich zerlegt es vor Sympathie.

Dan Ariely – Denken hilft zwar, nützt aber nichts

Nie hätte ich erwartet, dass jedes rationale Denken so durch irrationalen Erfolg ausgehebelt wird. Genau das ist es, was Dan Ariel in seinem Bestseller „Denken hilft zwar, nütz aber nichts“ so wunderbar beschreibt. Das Buch in meiner Tasche, die wenigen schon darin gelesenen Zeilen, sind zu meiner Realität geworden.

Der Autor beschreibt in wunderbaren praxisnahen Ausführungen, „warum wir immer wieder unvernünftige Entscheidungen treffen und uns so sicher dabei sind“. Der renommierte Verhaltensforscher ermuntert den Leser, sich mit seinem Alltag zu beschäftigen und sich selbst immer wieder zu fragen: „Wie rational ist das, was ich tue, eigentlich?!“

Dabei wird unser Alltag zum Labor der Menschlichkeiten und wir zu den Wissenschaftlern – wider besseren Wissens. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Auf 300 Seiten wird beobachtet und geschlussfolgert. Und es werden mit einer enorm sensiblen Hinwendung zur menschlichen Unvollkommenheit all die irrationalen Ergebnisse eingeordnet.

Argumentieren kann man fast alles….

Ich höre fasziniert den Ausführungen meines Mitfahrers zu und versuche, mir das Innere des von mir bisher erheblich unterschätzen Automaten vorzustellen. Wie komplex muss das technische System sein, dass es eine Münze am Grad der Reibungswärme oder elektrostatischen Aufladung besser erkennt als das von mir möglichweise maximal handwarm eingeworfene Geldstück.

Und selbstverständlich ist die physikalische Größe der Fallgeschwindigkeit der Münze im Automaten direkt vom emotionalen Zustand des Nutzers abhängig. Ist doch Plausibel, dass die Münze „langsamer fällt“, wenn diese liebevoll eingeworfen wird. Der Gesichtsausdruck meines Gegenübers unterstreicht seine Gläubigkeit an sein Handeln.

Und nicht anders ist es erklärbar, dass der Hersteller ja EXTRA an jeden Automaten eine Reibefläche für Münzen angebracht hat. „Dann muss dass ja so ein, mit der Reibung und so…“.

….aber nicht alles, was man argumentieren kann, ist wahr

Dan Ariely – danke, dass ich solche Situationen bemerken, genießen und auch bei mir immer wieder akzeptieren kann.

Ich habe das Buch in der Tasche, wir sind kurz vor dem Ziel. Ich packe das Buch aus -und denke darüber nach, welche Seiten ich meinem Mitfahrer zeige. Und dann DENKE ich „Schenk es ihm!“. Also schenke ich es ihm. Er ist überrascht und gestattet mir, über die Begegnung zu schreiben, ebenfalls irrational, denn wir kennen uns nicht. Aber ich habe was gut bei ihm. Ich habe ihm etwas geschenkt, so wie er mir diese Begegnung und seine Erklärung für sein Handeln und – merke dann: Denken hilft.

Weiterer Buchtipp: Anleitung zum Unglücklichsein – macht gelungene Kommunikation glücklich?

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    Über Doreen Beier

    Die Menschen- und Pferdekennerin coacht mit ihren Pferden Führungskräfte aus ganz Deutschland. Ihr Buch „Überholen mit 1 PS – Wie Manager von Pferden lernen“ erzählt amüsant und selbstkritisch zugleich die Geschichte von CHIRONDO, erläutert psychologisches Basiswissen und liefert detaillierte Beschreibungen der Trainingsmethoden. Als Blog-Autor schreibt sie zu Führungsthemen, gibt Einblicke in die CHIRONDO Welt und stellt ihre Vision des modernen Führungskräfte-Trainings vor.
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    Autor: Doreen Beier am 3. Nov 2014 17:44, Rubrik: Buchtipps von CHIRONDO, Literatur / Buchtipps, Kommentare per Feed RSS 2.0, Kommentare geschlossen.

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